Ein Pionier und Förderer
Die Stiftung ist benannt nach Carl Bechstein, einem weltoffenen, hochbegabten Klavierbauer und musikalischen Visionär, der eng mit den großen Komponisten und Pianisten seiner Zeit zusammenarbeitete und sich gleichzeitig aktiv für seine Gemeinde einsetzte. Er verstand die musikalischen Wünsche seiner Künstler-Freunde und setze sie in seiner Handwerkskunst um. So entstand ein erfolgreiches Unternehmen und eine der bedeutendsten Klaviermarken der Geschichte. Carl Bechsteins Einsatz gerade auch für junge Künstler ist den Stiftern ein Vorbild.
Jugend- und Wanderjahre
Carl Bechstein wurde am 1. Juni 1826 in Gotha geboren. Sein Vater, ein Cousin des Märchensammlers Ludwig Bechstein, verstarb 1831 im Alter von 42 Jahren. Carl Bechstein erhielt beim Stiefvater einen soliden Unterricht in Geige, Cello und Klavier.
Im Alter von 14 Jahren wurde Carl 1840 zu dem Klavierbauer Johann Gleitz in Erfurt in die Lehre geschickt. Nach vier Jahren ging er zuerst nach Dresden zu Pleyl, um 1846 dann nach Berlin zu ziehen. Dort galt er als ein für sein Alter ungewöhnlich ernster Mann, gleichwohl offenbar von ausgesuchter Liebenswürdigkeit. Er benutzte jede Gelegenheit, sich nebenher weiterzubilden. So lernte er während seiner ersten Berliner Zeit als Werkstattleiter bei Perau in den wenigen freien Stunden Französisch. In der zweiten Hälfte des Jahres 1849 ging Bechstein erst nach London, später nach Paris, wo er seine Ausbildung vervollkommnete. Einer seiner Lehrer, der Elsässer Jean Georges Kriegelstein, ein erfolgreicher Unternehmer, brachte ihm die Grundzüge von Unternehmenspolitik und Geschäftspraktik bei.
Der Jungunternehmer
Wir wissen wenig über Carl Bechstein. Er scheint ein Mann gewesen zu sein, dem jeder Kult um die eigene Person fremd war. Anderseits zeigen frühe Bilder auch einen äußerst selbstbewussten Mann, eine großgewachsene und auffallende Erscheinung. Als Berliner Jungunternehmer präsentiert er sich neben seinem Klavier in romantisch-langem Mantel über den breiten Schultern. Ein solcher Kerl dürfte in den Pariser Salons kaum unbeachtet geblieben sein.
1852 wird er wieder in Berlin Geschäftsführer bei Perau. 1853 aber wechselt er noch einmal nach Paris, wird Chef bei Kriegelstein, bleibt indes nicht lange, sondern kehrt schließlich nach Berlin und zu Perau zurück. Ein möglicher Grund für die Rückkehr nach Berlin mag eine gewisse Louise Döring aus Straußberg gewesen sein, die er 1856 heiratete.
Perau hatte in der Behrenstraße 56 ein Magazin, und dort gründete Bechstein sein eigenes Unternehmen. Am 1. Oktober 1853 ist er nicht mehr nur Peraus rechte Hand, sondern zugleich sein eigener Herr. Wahrscheinlich sträubte sich Perau gegen die neuen Ideen, die Bechstein aus Paris mitbrachte, und weigerte sich, ein neumodisches Piano unter dem Namen „Perau“ herausbringen zu lassen, so dass Bechstein auf eigene Faust ein modernes Pianoforte für eine moderne Musik baute.
Ein Freund der Künstler
Bechstein kannte etliche Künstler bereits von Perau her. Rasch bekam er Kontakt zu Dr. Theodor Kullak, dem Klavierlehrer der Königlichen Familie. Kullak soll des Lobes über die Erstlinge voll gewesen sein, und das zählte viel.
Während Theodor Kullak, der zweifellos etabliert war, anfangs die wichtigste Bekanntschaft darstellte, sollte bald ein anderer eine noch größere Rolle spielen. Da gab es einen jungen Dresdner Pianisten, einen Liszt-Schüler, der genau in jenen Monaten seine später legendenumrankte Karriere begann. Als Carl Bechstein an seinen beiden ersten Klavieren arbeitete, spielte Hans von Bülow noch in entlegenen Adelssitzen und auch mal in einer deutschen Residenz. Er war ein brillanter Pianist, dem es aber viel mehr um die Werke zu tun war und um den Klang. 1855 geht er als Klavierlehrer nach Berlin. Bülow wird Nachfolger des bewussten Dr. Kullak.
Bülow hat Bechstein wohl zunächst über Perau näher kennengelernt. Beide standen am Beginn einer Laufbahn. 1855 war Bülow 25 Jahre alt, Bechstein 29. Im Jahr darauf, 1856, fertigte Carl Bechstein seinen ersten Konzertflügel. Das Instrument trug nach unbestätigten Berichten die Fabrikationsnummer 100. Bis 1859 lieferte Bechstein insgesamt 176 Klaviere und Flügel aus.
Bülow lernte den Flügel kennen, der mit allen modernen Ingredienzien ausgestattet und vor allem – unter reichlicher Verwendung eiserner Verstärkungen – extrem stabil gebaut war, und spielte ihn mit großem Erfolg bei seinem nächsten öffentlichen Auftreten Anfang 1857. Das entscheidende Konzert fand am 22. Januar 1857 statt. Bülow spielte im Zentrum eines gemischten Programms Liszts Klaviersonate h-Moll. Den Herausgebern der neuen Liszt-Ausgabe zufolge war dies vermutlich sogar die Uraufführung des Werks, das immerhin bereits 1854 bei Breitkopf & Härtel im Druck erschienen war.
Liszts h-Moll-Sonate ist nicht nur für den Pianisten ein mörderisches Stück, sondern auch für das Klavier. Die Oktavgänge am Ende stellen extreme Anforderungen an das Material. Bülow repräsentierte die authentische Liszt-Schule, was unter anderem bedeutete, dass er die unmittelbare physische Kraft der Hand und des Arms einsetzte und sich damit radikal unterschied von jenen zum Teil außerordentlich berühmten Pianisten der frühromantischen Tradition, die vor allem für die Gelenkigkeit ihrer Finger bewundert wurden.
Der Klavierbauer
Carl Bechstein hatte durchaus den Ehrgeiz, Instrumente für diese neue Art der emotionsgeladenen Musik zu bauen. Übrigens zeigte er schon am Beginn seiner begrenzten Selbständigkeit einen Zug von selbstbewusster Modernität. So waren schon Bechsteins frühe Instrumente vor allem „Pianinos“, also aufrecht stehende Klaviere – in einer Zeit, in der das Tafelklavier noch lange nicht aus der Mode war, vor allem nicht im konservativen Berlin.
Das zierlichere Tafelklavier wirkte im kleinen Salon wirklich eleganter als das eher unförmige, aufrecht stehende Pianino; und es war auch von angenehmerer Klangabstrahlung. Darüberhinaus zeigte man sich in Spree-Athen auch dem wandhohen Lyraflügel zugeneigt, der in den entsprechend zahlungskräftigen besseren Häusern paradierte. Das Pianino hatte dagegen etwas unbedingt Proletarisches. Dafür gehörte ihm die Zukunft. Bechstein war also, für Berliner Verhältnisse zumal, Avantgardist, als er sich 1853 stolz mit seinem ersten Instrument, einem sehr respektablen, knapp 1,20 Meter hohen, schrägbesaiteten „Upright“, fotografieren ließ.
Der erste Konzertflügel aus der Werkstatt des Carl Bechstein ist 1857 die Sensation. Am Tag darauf schreibt Bülow einen Brief an Liszt, in dem er erwähnt, dass er ein Instrument eines „gewissen Bechstein“ gespielt habe, das er höher als die Érards einschätze. Eine lebenslange Partnerschaft hatte begonnen. Bechstein kümmerte sich nämlich um seine Künstler. Vor allem natürlich um den einen: Hans von Bülow.
Erfolg mit Liszt und Wagner
Am 8. Oktober 1860 wurde das junge Unternehmen von einem wichtigen Ereignis geadelt. An diesem Tag kaufte der größte Meister des Pianoforte seinen ersten Bechstein-Flügel. Das Instrument trug die Nummer 247. Im Ausgangsbuch war preußisch-schlicht über den Käufer zu lesen: „Kapellmeister Liszt in Weimar.“ Bechstein wollte einen neuen Klavierklang. Und über Jahrzehnte hinweg sollte der „Bechstein“ mit seinem Klang den Fortgang der Musik nachhaltig beeinflussen. Unzählige Kompositionen sind an ihm niedergeschrieben worden.
Zwei Jahre später kommt ein erneuter Durchbruch. Auf der Londoner Industrieausstellung von 1862 gibt es gegen die übermächtige englische Konkurrenz und deren gute Verbindungen zur Ausstellungsleitung Sieger-Medaillen: „Die Instrumente Bechsteins zeichnen sich durch eminente Frische und Freiheit des Tones, Annehmlichkeit der Spielart und Gleichheit der verschiedenen Register aus und dürften selbst der kräftigsten Behandlung Widerstand leisten.“
Die Qualität der Instrumente sprach sich immer mehr herum. Nichtsdestoweniger blieb Bechstein überaus großzügig. Anfang Mai 1864 floh Wagner aus Wien nach München zu seinem neuen Gönner, dem Bayernkönig Ludwig II. Und zu seinem Geburtstag kam aus Berlin ein Bechstein-Flügel.
Auch mit Franz Liszt pflegte Bechstein weiterhin den Kontakt. Gegen Ende seines Lebens dankte Liszt dem inzwischen international berühmten Berliner Klavierfabrikanten noch einmal: „Eine Beurteilung Ihrer Instrumente kann nur eine vollkommene Belobigung sein. Seit 28 Jahren habe ich nun Ihre Instrumente gespielt und sie haben ihren Vorrang erhalten. Nach der Meinung der kompetentesten Autoritäten, welche Ihre Instrumente gespielt haben, ist es nicht mehr nötig, sie zu loben, es wäre dies nur Pleonasmus, eine Umschreibung, eine Tautologie.“
Der Erfolg
Carl Bechstein ließ 1880 eine zweite Fabrik in der Grünauer Straße errichten. Bechstein, der seinen Arbeitern, wenn sie ihm 25 Jahre lang die Treue gehalten hatten, eine goldene Uhr schenkte, erfüllte sich vermutlich im gleichen Jahr 1880 einen Traum: eine prachtvolle Neo-Renaissance-Villa am Dämritzsee in Erkner, die er in Anklang an Vergils „Bucolica“ und an Ciceros Villa Tusculanum sein „Tusculum“ nannte. Es war dies auch eine Anspielung an das „Goldene Zeitalter“ des Vergil und nicht zuletzt die selbstbewusste Geste eines Autodidakten, der sich seine eigene und sehr persönliche „humanistische Bildung“ aus eigener Kraft erarbeitet hatte. Die Villa wurde zum gesellschaftlichen Mittelpunkt – ein Haus, dessen Gastfreiheit sprichwörtlich war. Eugen d‘Albert zum Beispiel verbrachte den Sommer 1883 dort und komponierte sein neues h-Moll-Klavierkonzert.
Am 4. Oktober 1892 wurde zum größten Stolz des Geheimen Kommerzienrats Carl Bechstein, wie er sich inzwischen nennen durfte, in der Linkstraße der „Bechstein-Saal“ eröffnet. Auftraggeber war die Konzertdirektion von Hermann Wolff. Als Architekten hatte man den Baurat Schwechten gewonnen, der auch die Philharmonie umgebaut hatte. In der „Allgemeinen Musikzeitung“ erschien der Vorbericht: „Die Eröffnung des Saales Bechstein wird sich zu einem dreitägigen Musikfest gestalten. Am 4. Oktober wird als Erster Herr Dr. von Bülow als Pianist sich hören lassen …; am 5. Oktober wird das Joachim’sche Streichquartett unter Mitwirkung von Johannes Brahms ein Streichquartett, das Klarinettenquintett und eine Violin-Klaviersonate des Wiener Meisters zur Aufführung bringen, und am 6. Oktober wird Anton Rubinstein spielen und sein Sextett für Blasinstrumente, eines seiner besten Werke, zur Aufführung bringen.“ Bülow war zu diesem Zeitpunkt schon seit sechs Jahren Chefdirigent eines phänomenalen neuen Orchesters, der späteren Berliner Philharmoniker.
1897 errichtete Carl Bechstein eine weitere Fabrik in der Reichenberger Straße in Kreuzberg. Knapp drei Jahre später, am 6. März 1900, starb Carl Bechstein. Bestattet wurde er im Familiengrab auf dem Sophienfriedhof. Die Produktion lag im Jahr 1900 bei über 3.500 Instrumenten. So gut wie alle namhaften europäischen Pianisten und Komponisten spielten und komponierten auf Bechstein.
Das Erbe: Nach Carl Bechsteins Tod begann für das Unternehmen zunächst eine wechselvolle Epoche, überschattet von zwei Weltkriegen, der Zerstörung der Berliner Produktionen und Erbstreitigkeiten. Der Name Carl Bechstein und der damit verbundene einzigartige Klavier-Klang blieb jedoch in den Herzen der Musiker immer lebendig. Die C. Bechstein Pianoforte GmbH in Berlin und die dem wieder erstarkten Unternehmem eng verbundenen Stifter halten nun die Tradition des Gründers in Ehren. Carl Bechstein hätte an der Stiftung, die seinen Namen trägt und seinen humanistischen Geist weiterführt, gewiss seine helle Freude gehabt.
Ein Text von Norbert Ely, stark gekürzt und aktualisiert.