Die Carl Bechstein Stiftung startete am Freitag, 9. Dezember 2022, um 19 Uhr eine neue Konzertreihe, die nicht nur Liebhaber der historischen Aufführungspraxis begeistern wird: Im Carl Bechstein Saal spielen renommierte Klavierprofessoren und ihre Meisterschüler auf den historischen Instrumenten der stiftungseigenen Sammlung. Eine gelungene Premiere: Professor Hubert Rutkowski und sein Meisterschüler Tomasz Ritter eröffneten im gut besuchten Carl Bechstein Saal in Spandau die neue Reihe, die von der Carl Bechstein Stiftung veranstaltet wird. Die Stiftung baut dort gerade eine der bedeutendsten Sammlungen historischer Tasteninstrumente auf und möchte damit die Geschichte des Klavierbaus anhand klingender Objekte erzählen.
Tomasz Ritter, der 2018 den ersten Chopin-Wettbewerb auf historischen Tasteninstrumenten in Warschau gewonnen hat, hatte für seine Konzerthälfte gleich zwei Hammerflügel ausgewählt: Er spielte ausdrucksstark Mozarts c-Moll-Fantasie KV 475 auf einem Hammerflügel von Joseph Brodmann (um 1795), der in der Werkstatt von Robert Brown bei Salzburg gerade mustergültig restauriert worden ist. Beethovens Andante Favori F-Dur WoO 57 und Schuberts Sonate a-Moll D 784 gestaltete er anschließend auf einem Hammerflügel von Mathias Müller (1810), der in der Werkstatt von Edwin Beunk zum historischen Schmuckstück geformt worden ist. Und es war erstaunlich, wie farbenreich und gleichzeitig wie unterschiedlich doch diese beiden Wiener Flügel klangen.
Hubert Rutkowski interpretierte Schumanns „Kinderszenen“ (komponiert 1838) auf einem Hammerflügel von Erard aus dem Entstehungsjahr der Komposition. Im Vorfeld erklärte er, dass er sich von Aufnahmen von zwei Clara-Schumann-Schülerinnen habe inspirieren lassen. Und in der Tat wurde eine solch freie und doch gleichzeitig überzeugende Interpretation dieses Schumann-Zyklus noch selten gehört! Der warme und grundtönige Klang des Erards passte natürlich auch bestens zu den Werken Chopins (Nocturne fis-Moll op. 48 Nr. 2, drei Mazurken und als Krönung das Fantaisie-Impromptu cis-Moll op. 66), die der polnische Pianist sehr klangsinnlich und elegant interpretierte.
Bereits vor dem Konzert konnten die Besucher in zwei Führungen die umfangreiche Sammlung historischer Tasteninstrumente der Carl Bechstein Stiftung in Berlin-Spandau kennenlernen. Die erste Führung gestaltete Georg Ott, der ständige Restaurator der Sammlung, im lockeren Dialog mit den beiden Pianisten des Abends. Die zweite Führung übernahm dann Edwin Beunk, der mit Riko Fukuda eine ebenfalls herausragende und auf historische Tasteninstrumente spezialisierte Pianistin an seiner Seite hatte!
„Ein unerschrockener Sucher nach Abenteuern” – Diesen Beinamen bekam Tomasz Ritter im Magazin „International Piano” nach seinem Konzert in Berlin im Frühjahr 2019. Seit er sich vor zehn Jahren in Prag an ein Klavier aus der Zeit Mozarts setzte, hat sich sein musikalisches Interesse – neben dem modernen Klavier – um Alte Musik und alte Instrumente erweitert: historische Klaviere, Klavichorde und Cembalos. Im September 2018 gewann er den I. Internationalen Chopin-Wettbewerb auf historischen Instrumenten in Warschau. „Seine Interpretation ist außergewöhnlich, einzigartig”, schrieb nach dem Wettbewerb einer der Rezensenten. Er ist auch Preisträger vieler anderer Wettbewerbe, u.a. des IX. Internationalen Wettbewerbs Junger Pianisten „Artur Rubinstein in memoriam” in Bydgoszcz und des VIII. Internationalen Pianowettbewerbs für junge Musiker in Enschede. Tomasz Ritter ist Absolvent des Moskauer Konservatoriums (Klassen von Alexei Lubimov, Michail Woskresenski, Maria Uspenskaja und Alexej Schewtschenko) und der Hochschule für Musik und Theater Hamburg (Prof. Hubert Rutkowski und Prof. Menno van Delft). Weitere Erfahrungen sammelte er in Zusammenarbeit mit Petr Šefl sowie auf Meisterkursen bei Johannes Sonnleitner, Urszula Bartkiewicz (Cembalo), Malcolm Bilson, Andreas Steier und Tobias Koch (Klavier). Tomasz ist auf renommierten Klavierfestivals zu hören, darunter in Chopin und sein Europa in Warschau, Chopin-Festival in Duszniki Zdrój und dem Nohant Festival Chopin in Frankreich.
Hubert Rutkowskis musikalische Interpretationen sind von einer leidenschaftlichen Bindung zur Ästhetik der alten Schule des 19 Jhs. geprägt. Die pianistischen Traditionen von Fryderyk Chopin, Theodor Leschetizky und ihren Nachfolgern, wie beispielsweise Karol Mikuli, Moritz Rosenthal, Raul Koczalski und Artur Schnabel, bilden daher den Grundstein seines künstlerischen Profils. 2007 gewann er den Internationalen Chopin Klavierwettbewerb in Hannover. Er erhielt auch die Auszeichnung Medalla per Unanimitat beim Inter-nationalen Klavierwettbewerb von Maria Canals in Barcelona (2006). 2013 wurde er mit dem renommierten Berenberg-Kulturpreis in Hamburg ausgezeichnet.
Hubert Rutkowski ist Absolvent der Klasse von Prof. Anna Jastrzębska-Quinn an der Fryderyk-Chopin-Musikakademie in Warschau. 2005 begann er sein Aufbaustudium an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg in der Klasse von Prof. Evgeni Koroliov, das er 2010 erfolgreich mit dem Konzertexamen abschloss. In den letzten Jahren setzte sich Hubert Rutkowski vermehrt mit historischen Flügeln des 19. Jhs. auseinander. Als Pianist und Lehrer arbeitet er mit dem Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg zusammen. 2013 nahm Hubert Rutkowski eine CD mit Werken Debussys am Érard-Flügel (1880) für Piano Classics auf. 2018 folgte eine Einspielung mit Werken Chopins am Pleyel-Flügel (1847).
© Raimar von Wienskowski und T. Zydatiss
Programm
Tomasz Ritter:
Wolfgang Amadeus Mozart: Fantasia c-Moll 475
(auf einem Hammerflügel von Joseph Brodmann, Wien, von 1795)
Ludwig van Beethoven: Andante Favori F-Dur WoO 57
(auf einem Hammerflügel von Mathias Müller, Wien, von 1810)
Franz Schubert: Sonate a-Moll D 784
(auf einem Hammerflügel von Mathias Müller, Wien, von 1810)Hubert Rutkowski:
Robert Schumann: Kinderszenen op. 15
(auf einem Flügel von Erard, Paris, von 1838)
Frédéric Chopin: Nocturne fis-Moll op. 48 Nr. 2, Mazurka h-Moll op. 33 Nr. 4 und f-Moll op. 7 Nr. 3, Mazurka cis-Moll op. 63 Nr. 3, Fantaisie-Impromptu cis-Moll op. 66
(auf einem Flügel von Erard, Paris, von 1838)